Pension "Ostseestern"

Neuer Titel

  • Typischer Strand an der Ostsee

    Meeresrauschen

    "Die Ostsee ist zwar kein besonders großes Meer, aber sie ist nicht ungefährlich!"

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  • Pension "Ostseestern"

    „Unsere neuen Gäste scheinen allesamt einem Märchenbuch entstiegen zu sein, findest du nicht?“

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  • Flügelschlagen & Seevogelkreischen

    „Ich habe Angst vor den Möwen.“

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Pension "Ostseestern"

Reetdach Haus am Strand Buchcover

Pension "Ostseestern" 

Abenteuer oder Liebe?

eBook

Erscheinungsdatum: 19. Januar 2024

„Das Kommen und Gehen der Wellen ist wie die Liebe, die die steinigen Ufer des Lebens umspült.“


Bennett flieht. Er hat etwas Wertvolles bei sich. Es gehört ihm nicht, aber er will es nicht in falsche Hände geraten lassen. Hals über Kopf macht er sich auf den Weg in den Norden Deutschlands, in der Hoffnung, dort für eine Weile untertauchen zu können. Doch an der Ostsee, auf der Insel Rügen, findet er etwas, wonach er sich schon lange sehnt.


Wann immer die Wogen des Lebens sich türmen, fragt Gerda ihre geheimnisvolle Kristallkugel um Rat. Das passiert häufig, denn in der Pension „Ostseestern“ herrscht ein reges Kommen und Gehen. Gerda ist die Wirtin der Pension und dazu Kräuterkundige, die manchmal ein wenig zu viel des Guten in den Tee ihrer Gäste rührt. Ob sie Bennett auf dem Weg in ein rechtschaffenes Leben helfen kann?


Zwischen Kap Arkona und dem Fischerdorf Vitt tummeln sich weitere Gäste, die ihr Leben dringend ändern müssen. Wir begleiten sie ein Stück auf den sandigen Wegen ihrer holperigen Versuche. Wird es ihnen gelingen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen?



Lassen wir uns auf die raue Ostseeinsel entführen, um den charmanten Charakteren einen Sommer lang über die Schulter zu schauen, ihre magischen Begegnungen zu erleben und uns dem Auf und Ab der Wellen, das der Liebe gleicht, hinzugeben.

Leseprobe

Bennett

Seine Flucht entwickelte sich allmählich zur Strapaze. Das lag nicht an den Übernachtungen unter freiem Himmel oder dem sperrigen Gepäck. Auch die endlos langen Fußmärsche störten ihn nicht, obwohl sich sein Körper erst nach und nach umgewöhnt hatte. Bennett mochte es, tagein und tagaus unter der Sonne zu leben und sich durch die Wildnis zu schlagen. Im Herzen war er vielleicht ein Wanderer, der nirgends anlangen wollte, sondern den Weg liebte und das bloße Vorankommen. Was ihm zu schaffen machte, war die Begegnung mit Menschen. Sie starrten ihn an! Mit allem kam er klar, nur nicht mit der eigenen Angst. Die Blicke der Leute untergruben seine Zuversicht. Waren seine Verfolger schon hinter ihm her? Wurde er erkannt? War seine ausgeklügelte Reiseroute aufgeflogen? Seit drei Nächten schlief er deshalb schlecht. Dieses schleichende, ungute Gefühl raubte ihm die Kraft.

Eine frische Brise ließ die hohen Pflanzen um ihn herum in eine wankende Bewegung geraten. Das dürre Laub gab seltsam kratzende Geräusche von sich. Bennett stand inmitten eines Maisfeldes, das sich weit genug entfernt von jeglicher Zivilisation befand, um seine Ruhelosigkeit zu besänftigen.

Sein Aussehen eignete sich einfach nicht, um sich unauffällig durch eine Menschenmenge zu bewegen. Geschweige denn, um wie ein Phantom durch das ganze Land zu entkommen. Er überragte die meisten Leute um Haupteslänge, und mit seinem windzerzausten Haarschopf und dem Zottelbart sah er aus wie ein Relikt aus alten Zeiten. Zeiten, in denen die Männer noch auf Pferden durch die staubigen Ebenen ritten, spärlich gewandet, stattlich und zäh. Seine Statur war die eines wehrhaften Recken. Bennett liebte es, sich sportlich zu betätigen. Obwohl er nie im Leben eine „Muskelfarm“ besucht hatte, sah er durchtrainiert aus. Er musste grinsen, als ihm dieses Wort in den Sinn kam – Muskelfarm. In einem Roman von Neil Gaiman hatte er es gelesen und fand, dass es gut auf diese Kerle passte, die sich in großen Hallen an den Gerätschaften ihre Körper formten. Er mochte die Geschichte, denn sie handelte von einem ebenso riesigen Typen, wie er selbst einer war. Normalerweise las er keine Schmöker, aber dort, wo ihm das Buch in die Hände gefallen war, wurde jeder zum Leser. Das lag vor allem daran, dass man an diesem Ort über mehr Zeit verfügte, als einem lieb war. Man hatte Bennett in Untersuchungshaft gesteckt. Der Grund war schlicht und ergreifend seine Gabe, sich mit den falschen Leuten einzulassen. Seit seiner Jugend passierte ihm das. Nach dem Gefängnis wollte er sein Talent endgültig entmachten und ein ganz neues Dasein beginnen: mit einem guten Job und netten Menschen. Schließlich war er in der Mitte des Lebens angekommen, wo andere längst Familien gründeten. Die Gedanken an ein liebendes Eheweib und stramme Söhne hatten sich in sein Hirn geschlichen, wie eine Melodie, die ihn verfolgte und nicht mehr losließ. Von dem Vorhaben, sich ein glückliches Leben aufzubauen, war er allerdings nach wie vor weit entfernt.

In den vergangenen Monaten hatte er es versucht und zunächst sah auch alles ganz gut aus. Der Job, den er fand, erschien ihm wie eine normale, alltägliche Arbeit. Aber was hinter ihm lag, war wie eine Flucht vorm Wolf und ein Hineinlaufen geradewegs in einen Bären. Diese „gewöhnliche“ Arbeit entpuppte sich als Hexenkessel. Jetzt floh er buchstäblich, und zwar vor dieser Räuberbande, die sich aus seinen Kollegen und der Geschäftsinhaberin zusammensetzte. Alles, was er zurückgelassen hatte, war verloren.

Er fragte sich, ob seine bildschöne Ex-Chefin sein Verschwinden schon bemerkt hatte. Sie würde ihn suchen, denn sie hatten noch eine Rechnung zu begleichen. Außerdem war da dieses Gemälde, das er sich geschnappt hatte. Das würden sie ihm nicht überlassen. Dazu war es viel zu kostbar. Das unhandliche Gepäckstück erregte zusätzliche Aufmerksamkeit, machte ihn unverwechselbar. Deshalb versuchte er, so oft es ging, Städte und größere Menschenmengen zu meiden. Nur, wenn er keine andere Möglichkeit sah, benutzte er Bus und Bahn.

Es war gut, dass seine Reise bald ein Ende hatte. In zwei oder drei Tagen müsste er die Insel erreicht haben. Dann würde er nur noch bis ganz in den Norden von Rügen kommen müssen. Dort lag sein Ziel, auch wenn er nicht wusste, ob er willkommen war.

Vor Bennett erstreckte sich das riesige Feld. In weiter Ferne lugten Baumkronen über das halbvertrocknete Land – bis dorthin wollte er es heute schaffen. Seit einer halben Stunde bewegte er sich durch raschelnde Pflanzenreihen. Die Hitze nahm endlich ab, weil die Sonne nur noch eine Handbreit über dem Horizont hing. Zwischen den hohen Stängeln schwirrte kein einziges Insekt. Darüber wunderte er sich seit einer Weile, denn auf den Wiesen und im Wald war er dauernd durch irgendwelche Spinnweben gelaufen oder war von Mücken und Bremsen verfolgt und zerstochen worden. Das Bild, das er nun schon so lange mit sich schleppte, war zum Glück nicht schwer, aber es rutschte ihm ständig über die Schulter. Der dünne Strick, mit dem er die Decke darumgebunden hatte, diente ihm auch als Trageschlaufe. Inzwischen hatte er eine Art Groll auf diese Schnur entwickelt. Sie schnitt ihm ins Fleisch und hatte ihn wund gerieben. Er war nicht empfindlich, doch der Staub der Reise und sein Schweiß waren wie eine brennende Substanz, die auf ungute Weise mit diesem Strang gegen die Haut auf seiner Schulter arbeitete und sie langsam auflöste. Er stellte das Gemälde auf den Boden und lehnte es an die zähen Stiele. Knurrend hockte er sich hin und wickelte das Bild aus seiner Verpackung. Vielleicht konnte er die Leinwand vorsichtig von den Leisten ablösen. Dann könnte er sie als Rolle transportieren, was eine enorme Erleichterung wäre. Natürlich hatte er das von Anfang an im Sinn gehabt, aber doch nicht gewagt, eine solche „Operation“ vorzunehmen.

Bennett betrachtete das Bild, das eine überwältigende Ausstrahlung hatte. Die Farben waren immer noch leuchtend, obwohl sie hunderte Jahre alt waren. Das Gesicht eines Jünglings wurde von einem warmen Licht angestrahlt, das von einer Kerze stammen mochte. Mehrere Dinge machten das Kunstwerk besonders: Da war der Blick des Knaben, der scheu und erschrocken den Betrachter anschaute. Er war vielleicht sechszehn Jahre alt und bildhübsch - auch nach heutigen Maßstäben. Der Maler hatte entweder einen sehr gutaussehenden Halbwüchsigen als Modell vor sich sitzen gehabt oder es war ihm gelungen, die Wirklichkeit mit viel Geschick zu überhöhen. Der Junge trug eine getigerte Katze im Arm, die ebenso scheu und erstarrt wie ihr Besitzer schaute. Ihre Blicke waren praktisch Kopien voneinander. Die beiden Augenpaare schienen einen zu verfolgen, wenn man sich vor dem Bild hin und her bewegte. Es war fast gespenstisch. Als Bennett das Gemälde zum ersten Mal sah, hatte er sofort gewusst, dass es wertvoll war. Der Stil der Malerei war ihm bekannt vorgekommen und es hatte sich schließlich bestätigt, dass es von einem namhaften Künstler stammte. Wenn das Glück auf seiner Seite war, würde ihm dieses Bild zu einem kleinen Vermögen verhelfen. Noch einmal sah er sich die Nägel an, mit denen das Leinen auf den Keilrahmen genagelt war. Der Rahmen maß etwa sechzig mal siebzig Zentimeter und alle Handbreit war ein Nagel eingeschlagen. Das waren insgesamt um die fünfzig Stück. Fünfzig Gelegenheiten, das Bild zu beschädigen, wenn er unsachgemäß daran herumdokterte. Er ließ es lieber bleiben. Den größten Teil der Reise hatte er hinter sich gebracht. Also würde er die Zähne zusammenbeißen und auch noch den Rest bewältigen. Er packte das Bild wieder in die Decke und verschnürte es. Diesmal knotete Bennett zwei Schlaufen, die er über beide Schultern streifte. Das Gemälde hängte er sich auf den Rücken wie einen Rucksack. Das war besser. Warum hatte er es nicht schon viel eher so gemacht? Mit einem Taschentuch wischte er sich den Schweiß aus dem Nacken und griff sich den Seesack, in dem seine ganze Habe steckte. Er klemmte ihn sich unter den Arm. Vielleicht sollte er heute Nacht hier im Feld kampieren. Es wäre eine willkommene Abwechslung, einmal ohne die nächtlichen Blutsauger in Ruhe schlafen zu können. Oder gab es hier andere Plagegeister, die ihm die Träume vermiesten?

Er stapfte weiter über den staubtrockenen Grund. Hier draußen jagten die Gedanken frei durch die Lüfte und stießen wie Raubvögel in seinen Kopf - unberechenbar und gefährlich. Gerade riss eine dieser klauenbewährten Erinnerungen mit scharfem Schnabel an seinem Herzen. Er spürte, wie blutige Fetzen davon abgerupft wurden. Das Raubtier, das ihn so erbarmungslos attackierte, hatte das atemberaubende Gesicht von Diana. Diese Frau war der Untergang für jeden, der sich auf sie einließ. Das Ausmaß ihrer Einflussnahme auf ihn wurde ihm erst jetzt bewusst, da er Abstand zu ihr hatte. Für sie hätte Bennett sich einen Arm abgeschnitten. Alles hätte er gemacht, wenn sie ihn dafür nur an sich ranließ. Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Als er sie kennengelernt hatte, war er von ihrer Schönheit hin- und weggewesen. Verliebt hatte er sich in ihre Schlauheit. Sie wirkte ungemein dominant und geradezu herrschsüchtig. Di hatte ihn dann mit ihrer Zärtlichkeit und einer unverhofften Nachgiebigkeit überrascht. Noch einige andere Eigenschaften standen im krassen Widerspruch zu ihrer harten Schale. Genau darin lag für ihn der Reiz, dessen war er sich zu spät bewusst geworden. Bennett hatte viel in die Beziehung mit ihr investiert und er hatte geglaubt, dass sie zusammen auf einem guten Weg wären. Nach Monaten hatte er herausgefunden, dass sie ihn die ganze Zeit betrog. Und das ausgerechnet mit seinem Konkurrenten, diesem James. Der hieß natürlich nicht wirklich so. Auch die Namen der anderen „Mitarbeiter“ waren nicht echt. Ihn hatten sie Edward genannt.

Der „Firma“, Diana, James, Sammy und wie sie alle hießen, wollte er nie wieder begegnen. Vielleicht schaffte er es, ihnen zu entkommen. Die Chancen standen gar nicht so schlecht, denn da, wo er sich zu verstecken gedachte, würde niemand Bennett je vermuten.


 

 

Gerda

„In zwei Stunden und siebzehn Minuten wird ein Unwetter über uns hereinbrechen!“, sagte Gerda mit erzitternder Stimme. Ihr Blick war durchdringend, als sie auf Jeppe hinunter schaute - ihren Ehemann seit vierzig Jahren. Der rollte mit den Augen – sie sah es, obwohl er schnell den Kopf in Richtung Mole wegdrehte.

„Wir können wetten. Sagen wir darum, wer heute das Abendessen macht?“

„Nej, nej, mit miner Fru da wett ich nicht“, brummte Jeppe in seinen Bart. Er paffte an seiner Meerschaumpfeife und blies genüsslich den Rauch in die Luft. Die duftenden Schwaden wurden zügig davon geweht und der alte Mann sah ihnen nachdenklich hinterher.

„Könntest sogar recht haben …“. Mit einem Schniefen und zusammengezogenen Brauen schaute er zu ihr hoch. Er saß auf einem Holzschemel hinter dem Verkaufstisch. Vor ihm waren hölzerne Figuren aufgebaut. Immer vier in einer Reihe nahmen sie Aufstellung - wie in einem Regiment. Die etwa sechzig Zentimeter großen Enten hielten ihre Köpfe gen Himmel gestreckt und sahen aus, wie kleine Wachtposten. Jeppe hatte sie aus Lindenholz geschnitzt und für ihn waren es Möwen, keine Enten.

Am strahlend blauen Firmament veranstalteten die Seevögel ein regelrechtes Spektakel. Gerda trat unter der Markise des kleinen Marktstandes hervor und beäugte kritisch ihr Flugverhalten. Sie waren aufgeregter als heute Morgen und sahen ganz zerzaust aus. Dies bestätigte ihr Gefühl, dass es eine dramatische Wetterveränderung geben würde. Vielleicht sogar tatsächlich in zwei Stunden und siebzehn Minuten, beziehungsweise – sie sah auf das Display ihres Handys - in vierzehn. Sie lächelte in sich hinein. Jeppe würde ihre besonderen Fähigkeiten irgendwann schon noch zu schätzen wissen. Sein kleines Eingeständnis ließ ihr Herz hüpfen.

„Du wirst sehen. Es ist jetzt genau elf. Um dreizehn Uhr siebzehn wird der Himmel voller grauer Wolken hängen, ein Sturm wird heraufziehen mit Donner und Blitz und es wird sein, als gäbe es kein Morgen.“

„Und das hast du alles in deinem Glas-Ball gesehen?“

„Wa ...? Jeppe! Ich nehme doch meine Kristallkugel nicht mit auf den Markt.“ Gerda lachte, und das hörte sich an wie das Gurren einer Taube, die einen Häkelkragen um ihren Hals trug, der ein wenig zu fest zugebunden war. Die Kristallkugel ... sie dachte voller Ehrfurcht und mit einer gewissen Zuneigung an sie. Im Moment wusste sie diesen kostbaren Gegenstand wohl verwahrt unter dem grünen Seidentuch in seinem hölzernen Rund. Still und geduldig wartete die Kugel in der kleinen Dachstube auf ihren nächsten Einsatz.

„Die Möwen sind irgendwie so zappelig. Sieh doch! Die Luft hat sich verändert“, quäkte Gerda.

„Zappelige Möwen also ... Nein, das musst du mir nicht erklären. Ich will das gar nicht wissen.“

Sie verstummten und beobachteten die wenigen Touristen, die sich heute auf den Rügen Markt verirrt hatten, was eher ungewöhnlich war. Wie jeden Dienstag und Donnerstag hatten Jeppe und Gerda ihre Produkte auf dem Tisch verteilt, die sie alle selbst herstellten, und sich damit ein kleines Zubrot verdienten. Von Mai bis Oktober kamen sie jede Woche vom Kap herübergefahren ins benachbarte Thiessow. Gerda war für die Konfitüren und einige andere Leckereien zuständig. Vor allem aus Sanddorn kochte sie den feinen Brotaufstrich. Aber auch aus Roten Johannisbeeren und Sauerkirschen - je nach Saison. Obendrein gab Gerda einige spezielle Kräutlein hinein, so dass sich nach dem Verzehr ein besonderes Wohlgefühl im Magen einstellte. In bauchigen Gläschen waren sie auf der rechten Seite des Tisches gestapelt. Auch an den anderen Ständen gab es allerlei Handgefertigtes und regionale Spezialitäten. Der kauflustige Besucher durfte wählen zwischen buntem Spielzeug, Kleidung, Keramik und Leinwänden mit recht beachtlichen Malereien. Der Appetit wurde vor allem durch Fischgerichte in den feinsten Zubereitungsarten angeregt. Um die einhundert Stände gab es auf dem Markt, der sich praktischerweise am Hafen befand und sehr beliebt war – bei den Urlaubern genauso wie bei den Einheimischen.

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